Selbst in Sommertagen habe ich noch mit schuppenden Lippen zu kämpfen und verwende folglich die hartgesottesten Pflegeprodukte.
TEWL
Der TEWL beschreibt die Menge an Wasser, die durch unsere Haut verdunstet. Optisch ist ersichtlich, dass die Hautbarriere der Lippen deutlich schwächer ausfällt, als im Rest des Gesichtes. Die Lippen sind anfälliger für einen erhöhten TEWL und die damit einhergehende Austrocknung.
Petrolatum ist der unangefochtene Topkandidat der Okklusiva, sprich feuchtigkeitseinschließenden Inhaltsstoffen, mit einer TEWL-Reduzierung um bis zu mehr als 90%.
Viele Lippenpflegestifte mit Petrolatum konnte ich in der Drogerie jedoch nicht mehr finden. Ich persönlich finde das aus zwei Gründen schade. Zum einen reichen nur pflanzliche Öle oder Waxe nicht aus für mich, zum anderen gerät Petrolatum schnell wieder zur Bashing-Zielscheibe.
Über das stärkste Okklusivum der Hautpflege reißen sich die abstrusten Gerüchte und es stellt sich die Frage:
Ist Petrolatum in Hautpflege gefährlich?
Die Veröffentlichung von Cosmetics Europe über Petrolatum (PDF Download!) informiert über Anforderungen, die Erfüllt werden müssen, damit Petrolatum in Kosmetika verwendet werden darf.
Petrolatum, welches in Kosmetika Verwendung findet, ist von Verschmutzungen befreit und muss als nicht-kanzerogen zertifiziert sein, mit Offenlegung des Raffinationshergangs.
Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) geht in der Stellungnahme zu Mineralölen in Kosmetika auf den Bereinigungsprozess ein.
"Mineralöle sind natürlich vorkommende komplexe Gemische <...>, die vor ihrer Verwendung in kosmetischen Mitteln <...> so bearbeitet werden, dass der Anteil potentiell kanzerogener aromatischer
Verbindungen minimiert wird."
Während andere Organisationen, wie z.B. die Gesundheitsorganisation Kanadas, sich deutlich für Petrolatum als unbedenklich aussprechen, ...
"Obwohl sich diese Bewertung in erster Linie auf die unsubstituierten PAK im Mineralöl bezieht, unterstreicht laut Health Canada auch das Fehlen epidemiologischer Befunde die gesundheitliche Unbedenklichkeit von medizinischen Weißölen. In Übereinstimmung damit hat auch die EFSA (2012) im Rahmen einer Neubewertung von Lebensmittel-tauglichen Mineralölen die bestehenden
ADI-Werte für die orale Aufnahme von Weißöl <...> bestätigt und diese Gruppe mit einer niedrigen Priorität für eine Neubewertung eingestuft."
... hält das BfR diese Bewertungen für unzureichend, da nicht auf gesättigte und aromatisierte Kohlenwasserstoffe (MOSH und MOAH) eingegangen worden ist.
Test kommerzieller Produkte
Vom BfR wurden drei Vaselinen (Petrolatumprodukt) getestet, wobei MOAH Anteile zwischen 1,7 - 5% nachgewiesen werden konnten.
In Produkten, die unter anderem Petrolatum enthalten, wurden MOAH Anteile größer als 0,007% entdeckt.
In einer weiteren Pilotstudie wurden sieben Produkte getestet und wiesen maximal 0,07% MOAH auf.
Medizinische Weißöle, z.B. besonders hochwertiges Petrolatum, enthalten MOAH nur noch in Spurenbereichen.
Da eine Reduzierung auf den Spurenbereich möglich ist, lautet der Anstoß des BfR, die Anteile von MOAH und MOSH so gering wie möglich zu halten.
Epidemiologische Befunde nach oraler Aufnahme von Mineralölen liegen für Menschen nicht vor. In den Jahrzehnten an Verwendung von Mineralölen sind schließlich keine zusammenhängenden Erkrankungen aufgetreten. Für Ratten liegen epidemiologische Befunde vor, wobei diese zum einen toxikologisch als wenig bedenklich eingestuft werden, zum anderen bereits signifikante Unterschiede in den Auswirkungen auf verschieden Rattenarten bestehen, dass eine Übertragung auf den menschlichen Organismus nicht tragbar ist.
Acceptable Daily Intake
Von der JECFA (Gemeinsamer FAO/WHO-Sachverständigenausschuss für Lebensmittelzusatzstoffe) wurden ADIs (Acceptable Daily Intake) für Mineralöle festgesetzt, bei denen von keinen gesundheitsbeeinträchtigenden Effekten ausgegangen wird.
Für Kosmetika bezieht das folgende INCI-Bezeichnungen mit ein:
PETROLATUM
PARAFFINUM LIQUIDUM
CERA MICROCRISTALLINA
OZOKERITE
CERESINE
PARAFFINS
Der ADI steht in Abhängigkeit zur Viskosität (Konsistenz/Zähigkeit).
Mineralöle und Wachse hoher Viskosität: 0 - 20 mg/kg KG
Mineralöle mittlerer oder niedriger Viskosität: 0 - 10 mg/kg KG
Umgerechnet auf eine Person mit einem Körpergewicht von 80kg wären das maximal jeweils 1,6g bzw. 800mg täglich.
Meine Lippenpartie hat eine ungefähre Oberfläche von 7cm². Ausgehend davon, ich würde meinen Sonnenschutz mit 2mg/cm² auftragen und dieser enthielte 10% Petrolatum und ich würde alles von meinen Lippen lecken, dann hätte ich 1,4mg Petrolatum aufgenommen.
1143 mal müsste ich täglich meine Creme auftragen und wieder komplett von den Lippen lecken um den Grenzwert des ADI von 1600mg, durch Petrolatum in Kosmetik, zu überschreiten.
Real liegt diese Zahl noch weit höher, da weder die komplette Creme abgeleckt, noch so viel aufgetragen wird!
Ich verstehe die Angst vor Inhaltsstoffen aufgrund fehlender Berührungspunkte und möchte auf James Kennedy aufmerksam machen. Ein australischer Chemie-Lehrer, der auf seinem Blog unter anderem über die Angst vor synthetisch gewonnenen Chemikalien schreibt. Angst vor Cremes, die als gesundheitlich bedenklich abgetan werden, weil Formaldehydabspalter enthalten sind, während, im Verhältnis dazu, gigantische Mengen Formaldehyd in verarbeitetem Fleisch, wie z.B. Wurst, nicht der Rede wert seien.
Wie alles 'Natürliche', womit die meisten das "Altbekannte" meinen, als gesünder verkauft wird und bei potentiellen Risiken mit einer relativ gelassenen Akzeptanz reagiert wird, während 'chemische', aka synthetisch hergestellte, Substanzen bei bereits ungeklärten Risiken in Grund und Boden gebasht werden.
Auf Compound Interest liefert uns der Beitrag zwei bedeutende Fakten.
Die Dosis macht das Gift!
Es darf nicht vergessen, dass sogar Wasser in zu hoher Dosis tödlich für uns sein kann und das gleichermaßen bedeutet, dass potentiell krebserregende Stoffe, die synthetisch hergestellt wurden, dieses Potential nicht entfachen bei zu geringer Dosis.
Synthetisch oder natürlich vorkommend sagt nichts über das gesundheitliche Risiko eines Stoffes aus!
Das Birnen-Beispiel verdeutlicht die Problematik, wie mit diesen Merkmalen umgegangen wird. Dass eine Birne ein Vielfaches an Formaldehyd enthält verglichen zu Impfungen. Von Sorge um Birnen, habe ich in den letzten Jahren nun nicht viel mitbekommen. Die Konzentration in Birnen liegt noch weit unter einer Dosis, die für uns gefährlich sein könnte.
Schlussendlich...
entscheidet jeder selbst, ob man Mineralöle wie Petrolatum in seiner Pflege einschließen möchte oder nicht. Vorsichtig sollte man bei Empfehlungen sein, die man weiter gibt. Wenn man sich nicht sicher genug ist, ist Schweigen = Gold.
Ich kenne das Gefühl, wenn man glaubt, man wäre informiert und wurde vor bösen Inhaltsstoffen gewarnt. Dabei verdienen darauf ausgerichtete Firmen Dein Geld, ohne dass sie es Dir aus der Tasche ziehen mussten.
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